Ein Gespenst namens Personalmangel treibt sein Unwesen
Während meiner Tätigkeit als Pflegehilfskraft und danach als Pflegefachkraft erlebte ich lange Phasen der Personalfülle (also ausreichend Personal) und des Personalmangels (Unterbesetzung). Dies in verschiedenen stationären Einrichtungen der Altenpflege bei Festanstellung, zuletzt und beabsichtigt bei Einsätzen über Zeitarbeitsfirmen.
Bayern und Baden-Württemberg waren Bundesländer meines Wirkens.
So negativ der, wenn vorhandene, Personalmangel sich auch ausgewirkt haben mag und so sehr personalmangelspezifische Probleme bei einer besseren Besetzung nicht mehr auftraten, so überrascht mich doch: Insgesamt brachte ein Mehr an Personal kein auffallendes Mehr an verbesserter Altenpflege.
Wenn das Team aus vorwiegend zur Altenpflege neutral oder auch leidenschaftslos stehenden Pflegekräften besteht, erweckt ein Mehr an Personal nicht plötzlich das Feuer der Leidenschaft in und bei diesen Pflegekräften.
Menschen, die sich für die Tätigkeit in der Altenpflege entschieden, da sie kaum Möglichkeiten hatten und haben in anderen Arbeitsbereichen unterzukommen, haben meist eine bestimmte Beziehung zur Altenpflege. Diese wird nicht durch ein Mehr an Personal zum Positiven hin verändert.
Im Gegenteil: Ein Mehr an Personal ermöglicht ein Mehr an Flucht vor den Pflegetätigkeiten.
Weiter dürfte ein (angeblich) massiver und chronischer Personalmangel ein idealer Boden dafür sein, dass dieses spezielle Heer an Pflegekräften sich vermehrt. Zugangsbedingungen für und zu einer Tätigkeit in der Altenpflege werden weiterhin kriminell niedrig gehalten und/oder übergangen, um das Ganze nicht noch massiver und chronischer werden zu lassen.
Ich arbeitete in etwa ein Jahr auf einer geschlossenen (sogenannten beschützenden) Station eines Altenheimes der Caritas in einer Stadt in Oberbayern. Damals war ich noch Pflegehilfskraft.
Der Großteil des Pflegepersonals verbrachte während den täglichen Dienstzeiten deutlich über drei Stunden mit Rauchen, Kaffee trinken, Zeitung lesen im Stationszimmer.
Aktive und leidenschaftliche Altenpflegekräfte (mit weniger Hang zu stundenlangem Rauchen, Kaffee trinken und Zeitung lesen) wurden als nicht zum Team gehörend eingestuft und gemobbt.
Ausreichend Personal also und die nicht unübliche Folge davon.
In einer anderen Einrichtung in Württemberg arbeitete ich als verantwortliche Pflegekraft. Dies zusammen mit einer Pflegehilfskraft bei einer überschaubaren Anzahl von Bewohnern. Diese ausreichende Besetzung wurde von der Pflegehilfskraft unter anderem dazu verwendet, in dem Stationszimmer ihres Verantwortungsbereiches bei geschlossener Tür und laufendem Radio in einer Wolldecken eingepackt, mit hochgelegten Beinen in einem Stuhl sich dem Schlaf hinzugeben.
...nur einige sehr wenige Beispiele die zeigen, zu was eine ausreichende Anzahl an Personal verursachen kann.
Vielleicht erscheinen die deutsche Altenpflege und damit ihre Vertreter etwas glaubwürdiger, wenn sie sich damit auseinandersetzen würden, was a) ausreichend Personal tatsächlich bewirkt (und nicht einfältig von einer automatischen Verbesserung des Pflegealltags ausgehen) und was b) eine Überbesetzung, ein scheinbares zu viel an Pflegepersonal, bewirkt.
Den Schwerpunkt auf Personalmangel zu legen und (so hat es doch den Anschein) das Personalmangel-Problem als DAS Problem zu sehen, führt nicht dazu, dass die kritisch denkenden Anteile der Öffentlichkeit den Eindruck gewinnen, es bei den schreibenden und redenden Vertretern der deutschen Altenpflege mit relativ eigenständig und wirklichkeitsnahen Denkern zu tun zu haben.
Allerdings sei ein und vielleicht der Vorteil des (angeblichen) Schwerpunktes Personalmangel genannt: Es ist ein beispielhaft sehr erfolgreich funktionierender Nebenkriegsschauplatz, der alles andere verdrängt hat. So sehr verdrängt hat, dass man nun denkt, es sei der eigentliche und einzige Kriegsschauplatz.
So kann man sich weiter belügen, der Öffentlichkeit weiter ein überschminktes Bild der deutschen Altenpflege anbieten und sich selbst bemitleidend in der Opferrolle suhlen.
Viele Behinderungen der deutschen Altenpflege werden nicht erkannt oder passiv hingenommen und, wenn auch nicht gezielt und bewusst, der angeblichen Ursache 'Personalmangel' untergeschoben. Wirkungen und Folgen dieser Behinderungen werden fälschlicher Weise als Wirkungen und Folgen des Personalmangels ausgelegt. Zu oft sind es aber gerade diese Behinderungen, die zu dem (angeblichen) Peronalmangel führen:
Kaum einer traut sich Ärzten mitzuteilen, dass sie doch bitte ihre Visiten nicht zu den Stoßzeiten des Pflegealltages absolvieren. Nein...man kriecht und schleimt lieber und opfert Zeit der teilweise überheblichen und arroganten Haltung von Ärzten. (Ich will nicht verallgemeinern, denn ich lernte auch durchaus kooperative Ärzte kennen. Dennoch ist dieser Zeitkiller ein wesentliches Problem in der deutschen stationären Altenpflege).
Umfangreiche Dokumentation, welche durch Einrichtungen selbst nicht selten noch umfangreicher und unnötig ausführlicher gemacht und praktiziert wird, um als liebes und strebsames Kind vor MDK und Heimaufsicht dastehen zu können.
Ich erlebte während meiner Tätigkeit zahlreiche Kündigungen von Kollegen. Fast alle Kündigungen (mit Ausnahme von ein bis zwei Kündigungen) waren konkret auf einrichtungstypische und -interne Ursachen zurückzuführen. Personalmangel ist zu oft durch Einrichtungen selbst verursacht.
Wenn in Teams psychoterroristische Aktionen (diese können vielfältigster Erscheinung sein) Teil des arbeitstäglichen Miteinanders sind, wird von sogenannten Führungskräften selten etwas oder wirkungslos etwas unternommen. Nicht selten sind sie Teil von diesem ganzen Geschehen.
Usw.
Vielleicht sieht es düster aus für die deutsche Altenpflege. Ich bin der Ansicht, es sieht sehr düster aus. Ein Verleugnen der eigentlichen Problematik stellt keine solide Grundlage für eine Verbesserung eben dieser Problematik dar. Dieses Verleugnen ist aber das Alltägliche, dieses Verleugnen ist die eigentliche Arbeit an der Lösung des Problems.
Wie in der Geschichte der Menschheit so oft: Die Dummheit wird wiederum einen grandiosen Siegeszug absolvieren.
Altenpflege kann eine erfüllende, inspirierende und innerlich positiv sättigende Tätigkeit sein. Die deutsche Altenpflege vermag dies definitiv nicht zu bieten, die deutsche Altenpflege ist etwas anderes.
aussagekarzinom am 30. Oktober 14
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